Diese Ecke war schon vor hundert Jahren so belebt,
dass zwei Schutzleute mit martialischem Säbel den Verkehr zu regeln hatten.
Das Gewühl aus Herrenreitern, die links und rechts der Linden ihren eigenen
Pfad besaßen, den Droschken und öffentlichen Pferdeomnibussen (die übrigens
der Dresdner Bank gehörten) war für die Fußgänger so gefahrvoll, dass die
Zahl der "blutigen Karambolagen" tatsächlich erheblich gewesen ist. Aber
nicht (allein) deshalb, weil Schaulustige auf ihre Kosten kommen konnten,
galt der schmale Balkon des Café Victoria im ersten Stock als ein Muss für
gewisse Situationen. Trotz sehr ansehnlicher Preise wurden Mokka und Schokolade
samt Torten konsumiert. Das Victoria war der Laufsteg für Heiratslustige.
Junge Offiziere in Gala wurden vom Personal bestens platziert. Ein Leutnant
zählte zu den besten Partien, die eine Beamtenstochter sich erhoffen durfte.
Auch "Gewerbliche" ließen sich blicken. Sie agierten im Wissen, dass der nahe Bahnhof Friedrichstraße so manchen "Heini aus der Provinz" anschwappte, der eine sündige Unterbrechung seines tristen Landlebens erhoffte. Zwei Häuser neben dem Café lag das Hotel Imperial, in dessen Festsaal Max Reinhardt 1901 das Kabarett "Schall und Rauch" aufmachte. Mit dieser Bühne, die seit 1902 Kleines Theater hieß (500 mal wurde en suite Gorkis "Nachtasyl" aufgeführt), begann Reinhardt seinen Siegeszug in der deutschen Metropole. Das Nebenhaus gehörte dem Lampenfabrikanten Fritz Heller. Seine Kreationen galten als das Nonplusultra hochherrschaftlicher Beleuchtung und Möblierung. In den zwanziger Jahren betrat ein Maharadscha, der im Hotel Aldon logierte, das Dorado. Auf die devote Frage, welche Lampe der fremde Inder der mitnehmen wolle, ließ der seinen Dolmetscher übersetzen: "Alle"! Im Hamburger Hafen nahm ein Schiff die gutverpackten Mitbringsel an Bord und legte ab Richtung Kalkutta. |