Das kantinenberüchtigte und kaloriengefürchtete Kassler,
als Nacken, Steak, Rippchen oder Karbonade unausrottbar auf allen urgermanischen
Speisekarten zu entdecken, hat seinen Ursprung in der Potsdamer Straße. Es ist
zweifelsfrei eine Berliner Spezialität, gescholten, gemieden, gelobt; aber
unausrottbar. Sie hat mit Kassel nichts zu tun. Und müsste besser und korrekter
als "Casseler" bezeichnet werden. Unweit des Potsdamer Platzes, dort in etwa,
wo heute die Staatsbibliothek jenen Zeitgenossen Unterschlupf gewährt, die nicht
mehr Kassler mit Kartoffeln und brauner Soße, sondern Sushi, Tofu und frisches
Basilikum goutieren, hatte ein Mann seine Schlachterei, von der aus er auch
eine kleine Filiale in der Friedrichstraße/Ecke Kochstraße belieferte.
Der brave Meister hieß Cassel.
Um seinen Vornamen wissen wir nicht, es war vermutlich eine kleine, aber
beharrliche Metzgerdynastie. Was diese von den übrigen Kollegen unterschied, war der geniale Einfall, das Fleisch frisch geschlachteter Schweine vor dem üblichen Räuchern leicht mit Lake zu pökeln. So gründlich gesalzen ergab sich ein neuer Geschmack. Unverwechselbar. Andere machten das Produkt nach. Es war preiswert und beliebt. Für den homo sapiens geriet die haltbare Fleischspeise zu einem Eckpfeiler der Feinschmeckerei, oder dessen, was man dafür hielt. Warenhäuser wie die von Georg Wertheim (1857 bis 1939; heute "Wertheim") oder Oskar Tietz (1858 bis 1923) und Hermann Tietz (heute "Hertie") nannten in ihren Inseraten der Zwanziger Jahre die Ware noch korrekt Casseler. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde aus dem edlen C ein allgemeines K. Auf Berlins Speisekarten wurde die Fleischeslust zumeist mit einer Beilage gepaart, die ebenso preisgünstig zu haben gewesen ist: Sauerkohl. Unterdessen treibt die nouvelle cuisine die Tolldreistigkeit geschmacklicher Verirrung in kühne Höhen. Kassler wird gerne in Champagner gedünstet. |